Wölfisches Fressverhalten am Museum untersucht

Wölfisches Fressverhalten am Museum untersuchtGörlitz | Göttingen, 18. Febraur 2021. Dass Wissenschaftlern eine gewisse Heiterkeit innewohnt, wer möchte das bestreiten. Nun aber hat die Biologin und Forstwissenschaftlerin Nina Tiralla der Universität Göttingen (Zitat aus der diesbezüglichen Pressemeldung) "das Freßverhalten der Wölfe am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz untersucht." Da das altehrwürdige Naturkundemuseum keine eigene Wolfszucht betreibt, haben kecke Redakteure den Gedanken in den Ring geworfen, es könnte sich um ergraute Leitwölfe des Museums – Akela & Co. – handeln, die in freier Wildbahn zum Kochwerk gelangten und dort einer Feldstudie unterzogen wurden. Aber das ist Spekulation und soll als Thema den lokalen Qualitätsmedien als Spaltenkleister überlassen bleiben.

Abb.: Das Görlitzer Senckenberg Museum für Naturkunde aus Sicht des Marienplatzes
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger
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Der Wolf als Insektenfresser

Damit kein falscher Eindruck über eine etwaig entfremdete Verwendung von Forschungsgelder entsteht: Gemeinsam mit einer Kollegin der Universität Göttingen hatte ein Senckenberg-Team das Fressverhalten von Wölfen in der Mongolei untersucht. Bisherige Studien zeigen, dass sich die Nahrung der großen Beutegreifer im zentralasiatischen Binnenland überwiegend aus Weidevieh zusammensetzt – dies führt nicht nur immer wieder zu einseitig dominierten Konflikten zwischen dem Weidevieh und den Wölfen, sondern zwischen den gefräßigen Räubern und den als Nomaden lebenden Viehhaltern.

Nun könnte man meinen, für die Wölfe sei es ja recht bequem, in so eine nomadenbetreute Viehherde einzudringen und sich wie am Bufett zu bedienen. Weit gefehlt! Kurzdenkende Laien könnten zudem auf die Idee kommen, die Wölfe würden auf Spaß und Qualität achten, wenns um die Beute geht, denn die kürzlich im Fachjournal "Mammalian Biology" erschienene Studie zeigt, dass mongolische Wölfe, wenn das Angebot an Wildtieren stimmt, diese bei ihrer Jagd bevorzugen und nicht etwa das dröge Weidevieh.

Mensch und Natur – warum kann er nicht einfach nur mitspielen?

Die Mongolei zeigt, dass auch wenige Menschen die Natur so umkrempeln können, dass andere Arten in Bedrängnis gelangen. In der Tat weisen die Görlitzer Senckenberg-Wissenschaftler auf ein zunehmendes Missverhältnis hin: Mit rund drei Millionen Einwohnern sei die Mongolei zwar der am dünnsten besiedelte Staat der Welt, doch Prof. Dr. Hermann Ansorge aus den Reihen der Senckenberger weiß: "Deutlich höher ist die Anzahl von Weidevieh – diese stieg in kurzer Zeit von 25 auf über 40 Millionen Tiere." Dieses Verhältnis mag man auf Deutschland gar nicht übertragen, wo man schon jetzt an jeder Ecke auf einen Hornochsen stößt. Doch in der Mongolei tickt die Wirtschaft anders, Ansorge: "Die Tiere dienen einerseits als Lebensmittel und andererseits auch für über 50 Prozent der Bevölkerung als einzige Einnahmequelle."

Diese extensive Tierhaltung führte in dem ostzentralasiatischen Binnenstaat – aus mancherlei Sich interessant gelegen zwischen Russland und China – zu einem massiven Wandel der Landschaft, denn frühere naturnahe Landstriche wurden und werden zunehmend zu Weideland umfunktioniert. Mittlerweile betrifft diese Weidelandisierung bereits ein Drittel des Landes. "Dieser landschaftliche Wechsel führt unweigerlich auch zu Konflikten mit den dort beheimateten Wildtieren – allen voran mit den großen Raubtieren, wie dem Wolf", ist für Ansorge logisch.

Aus Sicht des Menschen fressen die Wölfe ethisch korrekt

Nun zu Nina Tiralla, die sich dem Fressverhalten der Wölfe nicht etwa, wie kolportiert am Görlitzer Senckenberg Museum, sondern in der Mongolei gewidmet hat. Zusammen mit Maika Holzapfel hat sie in der Arbeitsgruppe von Ansorge 137 Wolflosungen – also das, was beim Isegrimm hinten rauskommt – analysiert. Das muss man erst einmal vor sich haben, doch das Forschungsmaterial wurde bereits zwischen 2008 und 2012 in der Mongolei gesammelt. Die Ergebnisse zeigen, dass der Speiseplan der Wölfe zu 89 Prozent aus wilden Huftieren – überwiegend aus Sibirischen Rehen – besteht. Die restlichen Prozente füllten die Raubtiere mit Häppchen, also kleinen Säugetieren, wie etwa aufmüfigen Hasen oder Mäusen. Ansorge ist fasziniert: "Wir konnten sogar Überreste von Insekten und Beeren in den Losungen nachweisen – von Nutztieren fehlt dagegen jede Spur." Das sei für sein Forscherteam insofern überraschend gewesen, weil bisherige Studien als Hauptnahrungsquelle für die Wölfe Weidetiere aufgezeigt hatten.

Den entscheidenden Unterschied sehen die Senckenberg-Wissenschaftler in der Ausgangssituation: Anders als bei den zurückliegenden Studien zu mongolischen Wölfen wurden die von ihnen untersuchten Proben in naturnahen Regionen mit hoher Artenvielfalt gesammelt. "Obwohl hier ebenfalls ein Angebot an Weidetieren besteht, scheinen die Wölfe dennoch lieber auf Wildtiere wie das Sibirische Reh als Beutetiere zurückzugreifen", erläutert Ansorge und begründet dies allerdings nicht mit Gormet-Allüren, sondern mit der gefahrloseren und einfacheren Jagd auf Wildtiere, bei der der Mensch nicht stört.

Können die Lausitzer Schafhalter frohlocken?

Die Forscher ziehen das Fazit, dass Wölfe, wenn sie in einer naturnahen und artenreichen Landschaft mit ausreichend Beutetieren leben, für Weidevieh nur eine sehr geringe Gefahr darstellen. Dies gelte nicht nur für die Mongolei, sondern sei prinzipiell auch auf europäische Länder übertragbar.

Virtuell ins Museum!
Senkenberg Museum für Naturkunde Görlitz


Anmerkung: Die Redaktion hat die sexualisierende Gendersprache der dem Beitrag zugrundeliegenden Pressemitteilung nicht aufgegriffen. Es ist im Zuge der Gleichstellung nicht förderlich, vom grammatikalischen Geschlecht bei jedweder Gelegenheit das biologische Geschlecht von Frauen abzugrenzen und ihnen so eine Außenseiterrolle zuzuweisen.

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  • Quelle: red | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 18.02.2021 - 18:00Uhr | Zuletzt geändert am 19.02.2021 - 17:42Uhr
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