Zum Wappenstreit im Landkreis Görlitz

Görlitz-Zgorzelec. Auf der 4. Sitzung des Kreistages des Landkreises Görlitz soll am Mittwoch, dem 28. Januar 2009, über das neue Landkreiswappen und die Landkreisflagge angestimmt werden. Im Vorfeld gibt es Diskussionen. Mit einem offenen Brief wollten fünfzig Unterzeichner am 26. Januar 2009 quasi noch in letzter Minute erreichen, die Entscheidung darüber von der Tagesordnung der Kreistagssitzung am 28. Januar zu nehmen. Der renommierte Heraldiker Jörg Mantzsch hat in einem Schreiben an den Görlitzer Landrat Bernd Lange darauf geantwortet.

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Zudem ließ Mantzsch im Nachhinein noch mitteilen, dass die Verwendung der sächsischen Raute nur dem Freistaat Sachsen erlaubt ist, da es ein staatliches Hoheitszeichen ist. Nun sind zwar der Böhmische Löwe und der Schlesische Adler ebenfalls Hoheitszeichen, die aber wurden bereits traditionsgemäß und legitim vom Niederschlesischen Oberlausitzkreis genutzt. Der Landkreis Görlitz als Rechtsnachfolgerin der Landkreise Löbau-Zittau und NOL darf deshalb auch im nachfolgenden Kreiswappen diese beiden Symbole benutzen.

Antwort von Heraldiker Jörg Mantzsch auf Offenen Brief zur Wappenfindung:

In Beantwortung des Offenen Briefes, der in Sachen Wappen des Landkreises bei Ihnen eingegangen ist, möchte ich wie folgt dazu Stellung nehmen.

Zuerst einmal ist zu begrüßen, wenn engagierte Menschen an einer Entscheidung wie die Wappenfindung eines Landkreises Anteil nehmen. Es fragt sich nur, warum dies - nach vorausgehender und öffentlicher Aufforderung zur Mitarbeit, die von den Unterzeichnern ohne Reaktion blieb - zu einem Zeitpunkt geschieht, an dem von Entscheidungsträgern im Prozess demokratischer Meinungsfindung bereits Entscheidungen gefallen sind.

Sodann ist festzustellen, dass der Heraldiker Jörg Mantzsch kein "deutschlandweit agierendes Unternehmen" ist, sondern eine Einzelperson, deren Reputation über die Landesgrenzen hinaus zweifelsfrei ist und die durch inzwischen weit über 500 erarbeiteter und wissenschaftlich dokumentierter Wappen von Städten, Gemeinden und Landkreisen in alten wie in neuen Bundesländern bekannt und geachtet ist. Hinzu kommen Vorlesungen an Universitäten und Hochschulen in Deutschland und Österreich, Vorträge vor Vereinen, Verbänden und anderen Institutionen, Veröffentlichungen und nicht zuletzt die Mitarbeit an Rechtsgrundlagen in Sachen Wappen in zwei Bundesländern. Die "Mitteldeutsche Zeitung" vom 08.08.2007 fasste diese Reputation mit den Worten zusammen: "Der Wissenschaftler ist wohl der führende Heraldiker in Ostdeutschland..." Dem schlossen sich über die Jahre hinweg, zahlreiche Medien der Presse, des Rundfunks und Fernsehens an. - Soweit zum Vorwurf mangelnder Kompetenz.

Um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, müssen Regeln und Gepflogenheiten sowie Normen von Wappenrecht, Wappenkunde und Wappenkunst berücksichtigt werden. Subjektive Befindlichkeiten wie ästhetische Wertung, lokaler Patriotismus u.a.m. ordnen sich diesen Kriterien unter.

Es ist festzustellen: Das Wappen eines Landkreises ist in erster Linie und von seiner Bestimmung her das Insignum einer Gebietskörperschaft. Es verkörpert Hoheitsrecht im doppelten Sinne, denn es unterliegt der Genehmigung durch eine landeshoheitliche Instanz und es ist selbst Hoheitszeichen - und zwar ausschließlich - eines Rechtsträgers, in dem Fall des Landkreises. Ein öffentlicher Anspruch am Wappen und dessen Nachnutzung besteht nicht. Nicht zu verwechseln ist das mit einem Signet bzw. Logo des Landkreises. Zugestimmt wird der Tatsache, dass ein kommunales Wappen für die Bevölkerung identitätsstiftend ist.

In den vorgeschlagenen bzw. vom Kulturausschuss und Hauptausschuss dem Kreistag empfohlenen Wappen wurde die Sächsische Raute vernachlässigt, stattdessen der Böhmische Löwe und der Niederschlesische Adler aufgenommen. Warum? Zum einen, weil die Raute in Verbindung mit der schwarz-goldenen Teilung ein landeshoheitliches Insignum darstellt, das dem Freistaat Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt obliegt. Führen z. B. Städte oder gar Gemeinden diese Symbolik, so handelt es sich um historische Wappen, die damit einen unmittelbaren Bezug zur früheren Landeshoheit dokumentieren. Neuschöpfungen von kommunalen Wappen führen keine landeshoheitlichen Symbole im Wappen; das ist hier ausschließlich dem Freistaat vorbehalten.

Weiterhin ist zu festzustellen, woher die Raute eigentlich kommt. Die schwarz-goldene Teilung stammt aus dem Stammwappen der Askanier. Der Askanier Albrecht von Sachsen führte im 12. Jahrhundert als Nachgeborener die Raute im neunmal von Schwarz und Gold geteilten Schild, während sein älterer Bruder Heinrich von Aschersleben (später von Anhalt) das Askanierwappen unverändert weiter trug. Die Raute war im Wappen ursprünglich ein Symbol der Wertminderung, ähnlich dem Bastardfaden. Nachdem die Linie Sachsen-Wittenberg erlosch, kam die Herzogwürde von Sachsen im Jahr 1423 an die Wettiner und damit auch das ehemals allein askanische Wappen. Das heißt, dass die Raute für sich genommen also das Zeichen einer generalogischen Linie und nicht stellvertretend für die Oberlausitz ist.

Wesentlich für die Entwicklung der Region war die Zugehörigkeit zu Böhmen ab dem Hochmittelalter durch Belehnung an Herzog Vratislav II. von Böhmen durch König Heinrich IV. 1076 und 1156 an den böhmischen Herzog Vladislav II. durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Damit begann die erste dauerhafte böhmische Periode in der Geschichte der Oberlausitz, die die Entwicklung des Gemeinwesens, seiner Wirtschaft und Kultur wesentlich prägte. Im Jahr 1319 wurde der König von Böhmen schließlich von Kaiser Ludwig IV. mit dem Land Bautzen belehnt, die östliche Landeshälfte fiel dagegen als Heiratsgut an den schlesischen Herzog Heinrich I. von Jauer, der das Land Görlitz (mit Ausnahme der Gegend um Lauban) 1329 an den böhmischen König abtrat. Im selben Jahr inkorporierte Johann von Böhmen "terra et civitas goerlic" der Krone Böhmen. Das heißt die Oberlausitz wurde staatsrechtlich eng und dauerhaft mit dem Königreich Böhmen verbunden. Der Böhmische Löwe hat darum seinen berechtigten Platz im neuen Landkreiswappen.

Mit Schlesien, konkret Niederschlesien ist die Oberlausitz ebenfalls aus der politischen Geschichte verbunden, weshalb es 1994 im früheren Niederschlesischen Oberlausitzkreis auch zu einer Ausschreibung eines Wappens kam - mit der Vorgabe der Verwendung der Farben der Oberlausitz und dem ausdrücklichen Bezug auf schlesische Traditionen. Dem trug das Wappen des Niederschlesischen Oberlausitzkreises Rechnung. Das Wappen Niederschlesiens (schwarzer Adler gegenüber Oberschlesiens goldener Adler) wurde in den Vorschlag zum jetzigen Wappen des Landkreises Görlitz aufgenommen. Dies nun zu vernachlässigen, hieße die Willensbekundung einer breiten Bevölkerungsgruppe und die Entscheidung ihrer damaligen Mandatsträger ad absurdum zu führen.

Selbstverständlich können und sollen in einem Landkreiswappen nicht alle politischen Hoheitszeichen, alle ethnischen Volksgruppen, kulturelle Traditionen und früheren Insignien übernommen werden. Das Prinzip für den Wappenkünstler heißt "pars pro toto" (Teil des Ganzen), indem er wesentliche Inhalte entsprechend der heraldischen Terminologie und den Gepflogenheiten der heraldischen Stilistik grafisch umsetzt. Die Frage nach Aufnahme von ggf. brandenburgischen und ungarischen Symbolen oder der Hinweis auf die Berücksichtigung von russischen und vietnamesischen Bevölkerungsgruppen, wie sie der offene Brief nennt, ist polemisch, fast zynisch. Die Antwort dagegen ist ebenso sachlich wie konsequent: Weil sie nicht prägend für die Entwicklung der Region des heutigen Landkreises waren.

Der Anspruch nach öffentlicher Transparenz ist von meiner Seite aus nicht zu kommentieren, denn das liegt in der Entscheidung des Landratsamtes. Aus meiner langjährigen Berufspraxis am Beispiel der Wappenfindung von Landkreisen, ist es jedoch geraten - und das entspricht sehr wohl demokratischen Prinzipien -, dass eine Entscheidungsfindung erstens einer ausgewählten Gruppe von Vertretern der Exekutive obliegen sollte, dass zweitens ein solcher Prozess auf sachlicher Ebene zu führen ist, was sich ausschließt, wenn eine öffentliche Debatte emotionalisiert wird und drittens Transparenz und Mitgestaltung da enden, wo ein heilloses Zerwürfnis von Meinungen und Befindlichkeiten eine Entscheidungsbildung destruktiv werden lassen. Das Landratsamt hat darum sehr korrekt und demokratisch gehandelt, indem aus der Summe von eingereichten Ideen eine Tendenz abgeleitet und ein Inhalt des neuen Wappens definiert, von Fachkompetenz in Varianten entworfen, von Gremien beraten und zur Empfehlung beschlossen und nun dem Kreistag übergeben wurde.

Die Entscheidung, was in das Wappen kommt, trägt allein der Rechtsträger. Das heißt, wer die Musik bestellt, zahlt sie nicht nur, sondern kann sie auch hören. Und ein zweites und passendes Sprichwort sei dem angefügt: "Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann."

Magdeburg, 26.01.2009
Jörg Mantzsch
Heraldiker


Von J. Mantzsch angefügter Hinweis aus der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992, in Kraft getreten am 6. Juni 1992:

1. Abschnitt. Die Grundlagen des Staates, Artikel 2 (4): "Im Siedlungsgebiet der Sorben können neben den Landesfarben und dem Landeswappen Farben und Wappen der Sorben, im schlesischen Teil des Landes die Farben und das Wappen Niederschlesiens, gleichberechtigt geführt werden."


Tag der Entscheidung:
Die 4. Sitzung des Kreistages des Landkreises Görlitz findet am Mittwoch, dem 28.01.2009, um 13 Uhr im RosenHof Görlitz, Geschwister-Scholl-Str.15, 02827 Görlitz statt.

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Wappenfindung

Von Matthias Wenzel am 27.01.2009 - 23:11Uhr
Sehr geehrter Herr Mantzsch,

ich danke für Ihre klarstellenden Aussagen zur Gestaltung des Entwurfs für ein Wappen des Landkreises Görlitz.

Ich gestehe, daß ich - um die langjährige Zugehörigkeit der Oberlausitz zu Sachsen wissend - auch vom Fehlen der Bezüge darauf in Ihrem Entwurf irritiert war. Ihre hier dargelegten Gründe sind für mich nachvollziehbar - obgleich ich meine, daß gerade der von Ihnen angefügte Passus aus der Verfassung des Freistaates Sachsen wenn nicht die Verwendung der Raute, so doch die Anwendung der Landesfarben gestattet hätte.

Dennoch halte ich den von Ihnen vorgelegten Entwurf in der Variante 3 für eine Gestaltung mit großer Klarheit und hohem Identifikationspotential, die den Zusammenschluß der ehemals nördlichen und südlichen Landkreise und der Stadt Görlitz, ergänzt um den Aspekt der sorbischen Bevölkerungsgruppe, zum Ausdruck bringt.

Daher kann ich diesem Entwurf in der morgigen Beratung des Kreistages gern meine Zustimmung geben.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wenzel

Leiter der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften
Kreisrat

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  • Erstellt am 27.01.2009 - 16:58Uhr | Zuletzt geändert am 27.01.2009 - 18:09Uhr
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