Görlitzer Stadthallenverein sucht Erinnerungsstücke

Görlitz, 5. Februar 2015. Der Förderverein Stadthalle Görlitz e.V. hofft darauf, zum Tag des offenen Denkmals 2015 die Stadthalle Görlitz zugänglich machen zu können. Wie Anneliese Karst von der AG Außenwirkung des Vereins mitteilt, hatte sich Oberbürgermeister Siegfried Deinege im Dezember dazu positiv geäußert. Nun will der Stadthallenverein für diesen Tag eine Ausstellung oder Broschüre, vielleicht auch beides, gestalten.

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Wer erinnert sich an Veranstaltungen in der Stadthalle Görlitz

Thema: Stadthalle Görlitz

Stadthalle Görlitz

Die Stadthalle Görlitz wurde 1910 als Veranstaltungsort des Schlesischen Musikfestes eröffnet. Hoher Sanierungsbedarf und die ungenügende Selbstfinanzierung führten im Jahr 2005 zur Einstellung des Betriebs und zu Verkaufsbestrebungen seitens der Stadt Görlitz. Die Ende Januar 2010 vom Stadtrat beschlossene Sanierung wurde, ohne dass Arbeiten am Gebäude begonnen hätten, im Oktober 2012 gestoppt, weil Fristen für Fördermittel zu kurz waren. Erst 2018 stellten Bund und Land Geld für eine über die Sicherung hinausgehende Sanierung bereit. Eine große Herausforderung stellen die Betriebskosten für die Stadthalle Görlitz dar.

Unter dem Motto "Meine Feier, mein Besuch, mein Erlebnis in der Stadthalle" will der Stadthallen-Förderverein eine Ausstellung gestalten, die von der Stadthalle als lebendiger Veranstaltungsstätte erzählt. In diesem Sinne sind Bilder, Dokumente, Erinnerungen, Einladungsschreiben, Eintrittskarten, Plakate und ähnliches gefragt.

Die Veranstaltungsvielfalt im bei den Görlitzern so beliebten Haus war enorm: Jugendweihe, Firmenfest, Tanzstundenball, Faschingsfest, Silvesterball , Familienfeste, Messen und Ausstellungen, Box- und andere Sportwettkämpfe, Tanzturniere, Veranstaltungen der Konzert- und Gastspieldirektion, Schlesisches Musikfest, Orgelkonzerte, heitere Muse, Kabarett, Revue, Artistik, Zauberei, Kammerkonzerte, Modeball, aber auch politische Veranstaltungen wie 1989/90 zogen die Menschen an. Wer hat noch Erinnerungsstücke daran oder kann eine Geschichte beisteuern?

Auch ehemalige Mitarbeiter werden gebeten, sich zu melden. Wer hat in der Stadthalle Görlitz seinen Beruf erlernt? Historische Fotos vom Gebäude, Bilder von den Kaffeenachmittagen, vom beliebten Treff im Stadthallengarten und Gegenstände wie bespielsweise "mein Tanzstundenkleid" oder "mein gewonnener Pokal" würden das Vorhaben bereichern. Selbstverständlich werden die Beträge nur als Leihgaben entgegengenommen und nach der Ausstellung zurückgegeben.

Organisiert wird die Aktion von Marianne Scholz-Paul, die Mitglied im Förderverein ist. Sie stellt den notwendigen Raum zur Verfügung , katalogisiert und verwaltet die Leihgaben. Wer etwas zur Ausstellung oder zur Broschüre beisteuern kann oder vielleicht sein Sammler- oder Erinnerungsstück nicht aus der Hand geben möchte, sollte den Kontakt zu Marianne Scholz-Paul, die gemeinsam mit dem Verein auf eine rege Beteiligung hofft, aufnehmen.

Kontakt:
Marianne Scholz-Pohl
Tel. 035826 - 6 48 56

"Die Genossen Kämpfer feiern im Kleinen Saal!"

1988 erlebte die Stadthalle Görlitz die Feier zum 40-jährigen Betriebsjubiläum des VEB Feinoptisches Werk Görlitz, das seine erfolgreiche Vorgeschichte in der 1896 gegründeten Optisch-Mechanischen Industrie-Anstalt Hugo Meyer & Co. hat. Hängen geblieben von dieser Veranstaltung ist bei mir die Durchsage: "Die Genossen Kämpfer feiern im Kleinen Saal!"

Die "Genossen Kämpfer" waren die Angehörigen der "Kampfgruppen der Arbeiterklasse", paramilitärische Freizeitkrieger, die als eine Art staatliche Bürgerwehr gedacht waren. Zur von den Führungskräften, die ab Abteilungsleiterebene meist SED-Mitglieder waren, erwarteten "ordentlichen Haltung" gehörte es, dass Mitarbeiter entweder der Kampfgruppe beitraten oder sich in der Zivilverteidigung, am ehesten vergleichbar dem heutigen Technischen Hilfswerk, engagierten.

Wer sich dem verweigerte, wer "der Partei" nicht beitreten wollte und für sich die Mitarbeit an "Landesverteidigungsobjekten" (LVO) genannten Rüstungsprojekten ausschloss, dem wurde klargemacht, dass seine berufliche Entwicklungsperspektive in diesem Moment vorbei war.

Wer aber mitspielte im System des so genannten Arbeiter-und-Bauern-Staates wurde belohnt: Es war für Fähige wie für Unfähige die Voraussetzung für eine berufliche Karriere und, wie erlebt, für die "Genossen Kämpfer" separat vom gemeinen Werktätigen zu feiern.

Das Feinoptische Werk Görlitz, das noch 1990 die Traditionsmarke MEYER-OPTIK wiederbelebt hatte, wurde Mitte 1991 von der Treuhandanstalt geschlossen. Wichtigster Grund: Der technologische Anschluss war längst verpasst, mit Mühe wurde gerade mal ein Zoom-Objektiv produktionsreif gemacht, an die sich damals rasant verbreitenden Autofocus-Systeme war nicht zu denken. Um das Know-how der Mitarbeiter wie auch das mit dem Aus für das Feinoptische Werk verbundene Ende der großartigen Görlitzer Fotoindustrie, die einst bekannte Kameras und berühmte Objektive herstellte, ist es außerordentlich schade.

Die andere Seite: Wie gut, dass der SED-Spuk vorbei ist,

meint Ihr Thomas Beier


Kommentar:

Würden Sie ungetragene Klamotten über zehn Jahre lang im Kleiderschrank aufbewahren, obgleich Sie in der Zwischenzeit immer wieder mal was Neues gekauft haben?

Längst ist die Stadthalle Görlitz aus dem Blickwinkel von Veranstaltern geraten, längst haben sich andere Veranstaltungsorte entwickelt und sich einen Markt erkämpft: Die Kulturbrauerei und das Wichernhaus in Görlitz, der kleine, aber top-moderne und aufstrebende Meetingpoint in Zgorzelec, die - wenn auch seelenlose - Messe- und Veranstaltungshalle in Löbau, das Bürgerhaus in Niesky. Dank Autobahn ist es auch kein Problem, den "Alten Schlachthof" und andere Locations in Dresden oder sonstwo zu erreichen.

Brauchen wir die Görlitzer Stadthalle noch? Viele der Veranstaltungen, an die der Stadthallenverein erinnern will, würden heute so nicht mehr stattfinden können - Veranstalter wie auch Publikum bevorzugen neuere Formate. Auch taugt der Zuschnitt für ein modernes Kongress- und Veranstaltungszentrum wohl nur bedingt, was allerdings eine Herausforderung ist, die Architekten meistern können sollten.

Die andere Seite: Görlitz lebt zu großen Teilen von seiner historischen Bausubstanz und seinen kulturellen Einrichtungen. Und Kultur braucht Raum. Man nehme nur die Neue Lausitzer Philharmonie - die gehört in die Stadthalle! Besinnen wir uns doch auf unsere Stärken vor Ort, als Doppelstadt: Wer hat schon mal über eine gemeinsame Stadthalle für Görlitz und Zgorzelec nachgedacht?

Das fragt sich

Ihr Fritz R. Stänker

Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Kongresszentrum

Von Seensüchtiger am 06.02.2015 - 20:00Uhr
Bitte nicht vergessen, dass die Gemeinden Görlitz, Markersdorf und Schönau-Berzdorf sich ein solches Kongresszentrum auf der Berzdorfer Höhe wünschen.

Prof. Stöcker würde bestimmt auch der Neuen Lausitzer Philharmonie Platz einräumen, wenn man ihn nur ließe.

Würde ein denkbarer theoretischer Veranstaltungskalender 2015 für die Stadthalle aufgestellt, würden auch die Nostalgiker feststellen müssen, dass der moderne Kulturbetrieb meilenweit von den Erinnerungsstücken der Sammler entfernt ist.

Genossen Kämpfer

Von Jens am 05.02.2015 - 17:35Uhr
@Thomas Beier:
War denn damals der Genosse Kämpfer Siegfried Deinege auch im kleinen Saal feiern? Ist der SED-Spuk tatsächlich vorbei?

Antwort: Herr Deinege war nicht im VEB Feinoptisches Werk Görlitz beschäftigt.

@ Fritz R. Stänker: Wenn ich mich recht erinnere, dann ist doch 2012 darüber berichtet worden, dass die Komplettsanierung der Stadthalle mit EU-Fördermitteln in beachtlicher zweistelliger Millionenhöhe gefördert wird. Voraussetzung dafür war aber eine grenzüberschreitende Partnerschaft mit Zgorzelec, welche wohl da war, sonst keine Förderung. Ich erinnere mich auch daran, dass Görlitz auch eine Partnerschaft für die neue Zgorzelecer Sporthalle eingegangen ist (sonst wären da auch keine EU-Mittel geflossen.
(...)

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  • Quelle: red | Thomas Beier | Fritz Rudolph Stänker | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 05.02.2015 - 07:08Uhr | Zuletzt geändert am 05.02.2015 - 08:44Uhr
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