Sanierung der Görlitzer Stadthalle in trockenen Tüchern?

Sanierung der Görlitzer Stadthalle in trockenen Tüchern?Görlirz, 24. Mai 2019. Vorab: In Wahlkampfzeiten entdecken Politiker ihre Herzen. Was ihnen dann nicht alles am Herzen liegt! Nun ist es zweifelsohne so, dass die Stadthalle Görlitz vor allem für die Görlitzer, die sie noch als lebendiges Haus in Erinnerung haben, eine Herzensangelegenheit ist. Das Thema bringt also Aufmerksamkeit und zur Stadthalle positive Nachrichten zu verkünden vielleicht noch ein paar Wählerstimmen, was natürlich eine plumpe, aber nicht unbegründete Unterstellung ist.
Archivbild: Stadthalle Görlitz

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Zusage zu Unterstützung bei der Finanzierung

Thema: Stadthalle Görlitz

Stadthalle Görlitz

Die Stadthalle Görlitz wurde 1910 als Veranstaltungsort des Schlesischen Musikfestes eröffnet. Hoher Sanierungsbedarf und die ungenügende Selbstfinanzierung führten im Jahr 2005 zur Einstellung des Betriebs und zu Verkaufsbestrebungen seitens der Stadt Görlitz. Die Ende Januar 2010 vom Stadtrat beschlossene Sanierung wurde, ohne dass Arbeiten am Gebäude begonnen hätten, im Oktober 2012 gestoppt, weil Fristen für Fördermittel zu kurz waren. Erst 2018 stellten Bund und Land Geld für eine über die Sicherung hinausgehende Sanierung bereit. Eine große Herausforderung stellen die Betriebskosten für die Stadthalle Görlitz dar.

Jedenfalls fand auf Einladung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bereits am am Dienstag dieser Woche in der Sächsischen Staatskanzlei ein Treffen statt, beteiligt: Ministerpräsident Michael Kretschmer, Innenminister Roland Wöller sowie Abgeordnete des Bundes- und des Landtags, Vertretern des Kuratoriums der Stadthallenstiftung, des Stadthallenfördervereins, des Görlitzer Tourismusvereins, der Görlitzer Verwaltungsspitze und der Görlitzer Stadtratsfraktionen. Die Görlitzer brachten gegenüber dem Ministerpräsidenten zum Ausdruck, was der sicherlich schon wusste: Die Sanierung und Wiedereröffnung der Stadthalle als multifunktionale Veranstaltungshalle sei ein wichtiges Projekt für die Görlitzer Bevölkerung und die Europastadt, sie solle jetzt begonnen werden. Der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege wagte den Blick in die Zukunft: "Die denkmalgerechte Sanierung der Jugendstilhalle bietet die Möglichkeit, Veranstaltungen für weit über tausend Görlitzer und ihre Gäste auszurichten. Damit wird ein kulturelles Zentrum im Herzen unserer Europastadt in einer zeitgemäßen Funktionalität entstehen."

Ministerpräsident Kretschmer, dem die Halle ebenfalls sehr am Herzen liegt, sagte den Anwesenden die Unterstützung des Freistaates bei der Finanzierung des Vorhabens zu. In einem Schreiben, das er an Oberbürgermeister Deinege übergab, erläuterte er, dass der Freistaat die Finanzierung der Bundesmittel der für den Bau benötigten Summe von ca. 40 Millionen Euro in Aussicht stellt. Voraussetzung dafür sei das Vorliegen aller Fördervoraussetzungen, zu denen auch ein schlüssiges und nachvollziehbares Betriebs- und Nutzungskonzept gehöre.

Am gestrigen Donnerstag hat der Görlitzer Stadtrat einen Grundsatzbeschluss zur Stadthalle gefasst: Die Halle soll als multifunktionales Veranstaltungshaus saniert werden und nach Fertigstellung von einer städtischen Tochtergesellschaft betrieben werden. "Mit diesen Grundsatzentscheidungen werden wir in die Lage versetzt, die Aktualisierung der Projektstudie durch Drees & Sommer abzuschließen sowie die weitere Planung zu beauftragen", so Oberbürgermeister Deinege noch vor dem Beschluss. Ob eine der bereits bestehenden städtischen Gesellschaften für eine künftige Betreibung der Stadthalle geeignet ist oder eine neue Gesellschaft dafür gegründet werden soll, steht noch nicht fest.

Oberbürgermeister Deinege bedankte sich bei allen, die sich mit hohem persönlichem Engagement für die Sanierung der Stadthalle eingesetzt haben, vor allem bei Bund und Land für ihre Finanzierungszusagen.

Die Stimmen der anderen

Zu Thema Stadthallensanierung haben sich eine der Oberbürgermeisterkandidatinnen und einer der Oberbürgermeisterkandidaten beim Görlitzer Anzeiger gemeldet.

Der AfD-Landtagsabgeordnete und Oberbürgermeisterkandidat Sebastian Wippel: "Uns war wichtig, vom Freistaat Sachsen die Zusage für eine dauerhafte Unterstützung des Betriebs der Stadthalle zu erhalten. Denn dies stellt unsere Stadtgesellschaft vor eine große Herausforderung, die alleine nicht zu bewältigen ist." Offiziell war die Rede allerdings von einer "Unterstützung des Freistaates bei der Finanzierung des Vorhabens", eine "Zusage für eine dauerhafte Unterstützung des Betriebs der Stadthalle", die der AfD nach Wippels Worten wichtig ist, konnte der Görlitzer Anzeiger nicht nachvollziehen.

Eine Zusage des Freistaates kann trotz aller schönen Worte zum Herzensprojekt Stadthalle die bündnisgrüne Haushaltsexpertin Franziska Schubert, ebenfalls Landtagsmitglied und von Bündnis 90/Die Grünen, vom Bürger für Görlitz e.V., vom Kommunalpolitischen Netzwerk Motor Görlitz e.V. und von der SPD unterstützte Oberbürgermeisterkandidatin, hingegen überhaupt nicht erkennen: "Über den Landeshaushalt entscheidet das Parlament, nicht ein Ministerpräsident. Zu versprechen, es würden zweistellige Millionenbeiträge in den nächsten Doppelhaushalt eingestellt werden, ist unredlich. Solche Aussagen sind Zeugen eines Demokratieverständnisses, dem ich mich aus tiefster Überzeugung entgegenstelle."

Und Schubert legt nach: "Erstens wird das neue Parlament, welches 2020 den neuen Haushalt mit verhandeln wird, erst Anfang September 2019 gewählt. Es allein entscheidet – und niemand diktiert ihm schon jetzt, was zu beschließen ist. Zweitens ist noch nicht bekannt, ob der Ministerpräsident derselbe sein wird. Drittens soll nun versucht werden zu vertuschen, dass man den zweistelligen Millionenbetrag bei den Haushaltsverhandlungen, die liefen, als das Millionenpaket als großzügiges Wahlgeschenk abgeworfen wurde, vergessen hat, einzustellen. Eine Verpflichtungsermächtigung hätte man einbauen können, aber es ist nicht mein Job, auch noch handwerklich zu helfen, zudem wären auch jetzt noch andere Optionen in Frage gekommen." Ihr Fazit: "Nichts hat sie gelernt, die staatstragende Partei. In selbstherrlicher Art wird davon ausgegangen, dass sie auch weiterhin in Sachsen nicht mit Kompetenz sondern reiner Mehrheit regieren kann."

Kommentar:

Die CDU, für viele Garant konservativer Werte, von Kontinuität und wirtschaftsfreundlicher wie auch soziale Belange berücksichtigender Politik, ist ins Kreuzfeuer geraten. Nicht nur, dass von rechts die populistische AfD angreift, nein, in der deutschen Gesellschaft insgesamt brodelt es und es gelingt nicht mehr, den Deckel draufzuhalten. Mit achtenswertem persönlichen Einsatz geht Ministerpräsident Kretschmer auf die Bürger zu, doch bei den einen sitzen Neid und Vorurteile fest und bei den anderen die Angst um ihre Zukunft in einer lebenswerten Welt. "Fridays For Future", der überragende Sieg von Bündnis 90/Die Grünen bei der U18-Europawahl und jüngst das – wenn auch im Detail wohl nicht immer hieb- und stichfeste – Rezo-Video zeigen, dass mit herkömmlicher Politik kein Staat mehr zu machen ist, weil besonders junge Leute die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit sensibel wahrnehmen.

Wer alle erreichen will, erreicht keinen, ist als Weisheit im Marketing ein alter Hut. In Sachsen hat die CDU gern davon geträumt, sehr viele zu erreichen und dann mit absoluten Mehrheiten durchregieren zu können. Spätestens, als die Sachsen-CDU die FDP wie eine zu kleine Kartoffel fallen ließ ("Keine Solidaritätswahl!") begann sie, ihre Bündnisfähigkeit zu verlieren und sich auf den Pfad des einsamen Kriegers zu begeben. Eine Weile wird sie noch von Vorurteilen mancher Älterer gegenüber den Bündnisgrünen zehren können, außerdem von der Schwäche der SPD, die auf politische Themen setzt wie beim Pferderennen, und vom Anstandsempfinden der vielen, die das Spiel der Rechtspopulisten durchschauen – doch Fans rekrutiert sie weder bei der Jugend noch an der rechten Flanke im ausreichendem Maße.

Vielleicht geht ja das Zeitalter der Parteisoldaten zu Ende angesichts drängender ökologischer, sozialer und weltpolitischer Fragen. So, wie sich in der Wirtschaft immer wieder neue Projektgruppen zusammenfinden, können sich in der Politik Teams unterschiedlicher politischer Grundüberzeugung zu pragmatischer Sacharbeit zusammenfinden, wie man das beispielsweise von einem Stadtrat als Gremium erwarten sollte. Das ist ein Dienst an der Demokratie: Die bedeutet ja nicht, dass eine Mehrheit die Minderheit ignoriert,

meint Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 24.05.2019 - 02:19Uhr | Zuletzt geändert am 24.05.2019 - 18:50Uhr
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