Kiesabbau in Hagenwerder

Kiesabbau in HagenwerderGörlitz, 4. März 2021. Das ist das Spiel der Demokratie: Gewählt wird von unten nach oben, regiert hingegen von oben nach unten. Allerdings sind die Regierenden regelmäßig gut beraten, die Interessen derer da unten zu beachten. Oder fühlen sich die Landesdirektion Sachsen als Mittelbehörde unterhalb der Ministerialebene und das Oberbergamt Freiberg als Zahnräder in einem Getriebe, die den anderen Zahnrädern nicht entrinnen können?

Abb: Zwischen der B99 und der Lausitzer neiße bei Hagenwerder
Archivbild: © BeierMedia.de
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Fraktionsvorstand Bürger für Görlitz positioniert sich

Von Yvonne Reich, Karsten Günther-Töpert und Prof. Dr. Joachim Schulze. Heute früh (Anmerkung der Redaktion: am 3. März 2021) haben auf den Ackerflächen am Nordrand von Hagenwerder (östlich der Bundesstraße nach Zittau) erste Arbeiten zum Aufschluss der so genannten "Kiessandlagerstätte Berzdorf-Ost" begonnen. Eine vorherige Mitteilung an die Menschen in Hagenwerder oder an die Öffentlichkeit in Görlitz seitens des Vorhabenträgers Heim Niederschlesische Kieswerke GmbH & Co KG (Quitzdorf) oder einer genehmigenden Behörde fand unseres Wissens nicht statt.

Wir alle wurden überrascht und sind beunruhigt. Aktuelle Hintergründe müssen noch geklärt werden, insbesondere der Inhalt von erteilten Genehmigungen, was den jetzt gültigen räumlichen und zeitlichen Umfang des Kiessandabbaus angeht und eventuelle Rahmenbedingungen, die wir noch nicht kennen. Wir sind in die Tiefen unserer Computerfestplatten gegangen, weil für uns das Thema über Jahre – wie offenbar vielen anderen auch – verloren ging. Zumal sich „öffentlich“ auch nichts tat.

Nach schneller Recherche stellen wir fest:
Bereits 2009/2010 gab es eine intensive Debatte über die dahinterstehenden Pläne des Unternehmens Heim unter Beteiligung einer Bürgerinitiative in Hagenwerder. Das Unternehmen hatte im Mai 2009 bei der Landesdirektion Dresden die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens (ROV) nach dem Sächsischen Landesplanungsgesetz beantragt. Dies erfolgte, wobei die Gemeinden Markersdorf, Schönau-Berzdorf und die Stadt Görlitz die Antragsunterlagen öffentlich auslegten. Die Gebietskörperschaften, Planungsverbände, diverse Behörden, Unternehmen, alle Umweltverbände sowie eine große Anzahl von Bürgern haben sich schriftlich geäußert. Sogar das polnische Umweltministerium.

Wir halten fest und zitieren aus der Raumordnerischen Beurteilung der Landesdirektion Dresden vom 20.Januar 2010 (Seite 20):
"Die Stadt Görlitz, die Gemeinden Markersdorf und Schönau-Berzdorf, das Landratsamt Görlitz, der Planungsverband 'Berzdorfer See' und die Industrie- und Handelskammer Dresden lehnen das Vorhaben u.a. deshalb ab, da es einen erheblichen Eingriff in die bestehende Landschaft darstellt und negative Auswirkungen auf das zukünftige Tourismus- und Feriengebiet Berzdorfer See wie auch auf die Nutzung des überregionalen Oder-Neiße-Radweges befürchtet werden. Im Rahmen der öffentlichen Auslegung in den Gemeinden gingen unzählige ablehnende Meinungsäußerungen zum geplanten Kiesabbau sowohl von einzelnen Bürgern als auch von Vereinen bzw. Wohnungseigentümergemeinschaften ein. Diese verweisen u.a. auch auf die Konflikte zwischen geplantem Kiesabbau und der touristischen Entwicklung des zukünftigen Naherholungsgebiets Berzdorfer See."

Wir ergänzen, dass die Wohnungseigentümer aus Hagenwerder auf eine mögliche Entwertung ihres mit hohem Aufwand sanierten Eigentums durch Lärm, Staub und Lastverkehr und auf den Verlust an Lebensqualität hingewiesen haben. Sie setzten ihre Hoffnung ja gerade "auf den See" als attraktiven Standort.

Die Landesdirektion hat sich über die genannten Einwände und Einwänder schlicht hinweggesetzt und wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens, dass nach Auskiesung einer Lagerstätte in Hagenwerder-Süd weitermachen wollte, den Vorrang gegeben. Obwohl es sich damals (bei Vollausbau) lediglich um fünf(!) Arbeitsplätze handelte. Dem Neißekies wird zwar eine bestimmte Qualität attestiert, die IHK Dresden hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen (Seite 17), "dass auch ohne Neuaufschluss der Kiessandlagerstätte Berzdorf-Ost der Bedarf an Kies und Kiessanden in der Region gedeckt werden kann. Aus gesamtwirtschaftlicher Sichtkann deshalb auf den Kiesabbau verzichtet werden."

Geht es noch deutlicher? Doch auch darüber hat sich die Landesdirektion hinweggesetzt mit äußerst fragwürdiger "Argumentation".

Als die Entscheidung gefallen war, hat unsere damalige Fraktion "Bürger für Görlitz/Die Grünen" am 31.01.2010 eine Pressemitteilung herausgebracht mit dem Titel "Landesdirektion stört die Entwicklung der Berzdorfer Sees". Daraus ein Zitat: "Dies ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen in der Region, die sich mit viel Herzblut und guten Ideen für eine Entwicklung unseres Sees zu einer Freizeit- und Erholungslandschaft einsetzen", sagt Stadtrat Joachim Schulze, der als einer der Vertreter der Stadt Görlitz im Planungsverband Berzdorfer See aktiv ist. (…) Für 150 Tausend Tonnen Kies im Jahrzerstört Dresden alle Perspektiven einer von uns zu ermutigenden Tourismuswirtschaft. 40 Jahre lang ein Blick auf Förderanlagen und Krach von Baggern sind ein wirksamer Investorenschreck. Wir sind keine billige Rohstoffkolonie."
Letztlich seien alle betroffen, die am See Erholung suchen oder eine wirtschaftliche Perspektive. Neben der nachhaltigen Störung der Entwicklung des Berzdorfer Sees sei außerdem zu erwarten, dass die erforderlichen Renaturierungskosten nach dem Kiesabbau auf die Allgemeinheit abgewälzt würden. "Auch die bislang an den See geflossenen Steuergelder sind verbrannt Millionen, wenn der Kiessabbau nicht verhindert wird."

Wir können unsere damalige Einschätzung heute beibehalten. Es kommt hinzu, dass mit viel privatem Engagement in unmittelbarer Nachbarschaft zur der Grube in attraktive Vorhaben investiert wird: in den Hotel-, Ferienhaus- und Wellnesskomplex "Insel der Sinne" und in die "Ranch am See". Diese werden beeinträchtigt. Auch die weitere Entwicklung von "Hagenwerder-Am-See".

Das Ganze mag vom Verfahren her formal korrekt gelaufen sein. Auch das Bergrecht ist kaum bezwingbar. Der Skandal besteht darin, dass sich übergeordnete Behörden, die weit weg sind, über den erklärten Willen von Görlitz, Markersdorf und Schönau-Berzdorf, über begründete Einsprüche von Verbänden und Bewohnern mit fragwürdiger Argumentation hinwegsetzen. Sie haben bei der Güterabwägung versagt und das wird zur Verbitterung und weiterem Vertrauensverlust unseres Systems beitragen.

Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen die aktuellen Bescheide auswerten und Schlussfolgerungen ziehen, wenn ein Stopp des Vorhabens rechtlich nicht möglich ist. Schlussfolgerungen für eine Minimierung von schädlichen Folgen für eine penible Überwachung von Auflagen und falls erforderlich für eine nachbergbauliche Zukunft des Arreals.

Für den Vorstand der Fraktion Bürger für Görlitz
Yvonne Reich / Karsten Günther-Töpert / Prof. Dr. Joachim Schulze

Es geht nichts über ein gutes Archiv, das des Görlitzer Anzeigers hat immer geöffnet:
02.10.2010: Amtlicher Segen: Kohle machen mit Kies
02.06.2010: Görlitzer CDU weiter gegen Kiesabbau an der Neiße
01.06.2010: Kiesabbau nicht gewollt
08.08.2009: Kies abbauen oder Tourismus aufbauen

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  • Quelle: red | Foto: © BeierMedia.de
  • Erstellt am 04.03.2021 - 11:10Uhr | Zuletzt geändert am 05.03.2021 - 17:00Uhr
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