Heimat – Heymat?

Heimat – Heymat?Görlitz, 3. Februar 2019. Von Tina Giesenkämper. Vor einigen Tagen fand ich auf haltepunkt-erzgebirge.de ein interessantes Projekt, initiiert vom KunstZone e.V. und in den Jahren 2018/2019 umgesetzt. In diesem Projekt geht es um den Schriftsteller Stefan Heym. Heym, 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz geboren, flog 1931 vom Gymnasium wegen eines Gedichts gegen den Rüstungsexport; die Nazis waren bereits stark genug. Er musste zu Verwandten nach Berlin, wo er sein Abitur machte. Sechs Wochen nach dem Reichstagsbrand floh der Student der Zeitungswissenschaften vor drohender Verhaftung nach Prag, wo er sich – neben anderen Synonymen – Stefan Heym nannte, um mit seinen Veröffentlichungen seine in Chemnitz gebliebene Familie nicht zu gefährden.

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Ein Kosmopolit aus Chemnitz und das Nachdenken über Heimat

Ein Kosmopolit aus Chemnitz und das Nachdenken über Heimat
"Wo ich meinen Hut hinhäng, da ist mein Zuhause" (Udo Lindenberg)

Thema: What's up?

What's up?

Tina Giesenkämper pendelt zwischen den Welten: West und Ost, öffentlicher Dienst und freie Künstlerin, Großklappe und stille Beobachterin. In Ihrer Kolumne berichtet sie aus ihrem Alltag.

Mit Hilfe einer New Yorker Studentenverbindung, die an Studenten, die ihr Studium wegen der Machtergreifung der Nazis unterbrechen mussten, Stipendien vergab, gelangte Heym 1935 an die Universität Chicago. Nach Deutschland zurück kehrte er als Sergeant der US Army, besuchte noch einmal das sowjetisch besetzte Chemnitz und arbeitete dann für Zeitungen in Westdeutschland. Unter den Vorzeichen des Kalten Kriegs kehrte Heym Ende 1945/Anfang 1946 in die USA zurück, arbeitete als Schriftsteller, siedelte aber aus Protest gegen den Korea-Krieg und wegen der Verfolgungen in der McCarthy-Ära 1952 nach Ost-Berlin über, die Stadt, in der damals mit Bertolt Brecht, Anna Seghers und Arnold Zweig "die Crème der deutschen Literatur"*) versammelt war.

Das KunstZone-Projekt "Stefan Heym – HEYMAT" richtet sich an Schülerinnen und Schüler – kann kostenfrei direkt an Schulen verwendet werden – und an junge Erwachsene. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat (es ist ausgesprochen wichtig, dabei auch politische Hintergründe einzubeziehen) und man stellt schnell fest, wie widersprüchlich, komplex und schwierig dieses Thema ist. Das macht dieses HEYMAT-Projekt so ausgesprochen wichtig, wie ich finde, denn ist aktueller denn je.

Heimat, für mich?

Und auch ich fing an, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Was bedeutet Heimat für mich? Ich musste feststellen, dass es nicht nur eine Heimat gibt. Ich habe in den Niederlanden Fotografie, Malerei und Mixed Media studiert. Aus gutem Grund: Die Arroganz der Dozenten an den deutschen Fachhochschulen und das affige Gehabe und Getue in den Kunstakademien empfand ich nur als abstoßend. Ich muss dazu bemerken, dass das natürlich subjektive Erfahrungen sind, aber für mich war es ausschlaggebend für meinen Entschluss, in die Niederlande zu gehen – die beste Entscheidung meines (künstlerischen) Lebens.

Aber dort wurde ich außerhalb der Uni nicht nur einmal von älteren Leuten mit als "scheiß Deutsche" beschimpft. Als ich einmal während einer EM oder WM – es lief gerade an allen Fernsehern ein Endspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden – in einer kleinen niederländischen Stadt war, landete ich in einer Straße, Totenstille, nur Oranje-Wimpel, alles in oranje, beschlich mich ein sehr ungutes, bedrohliches Gefühl. Nur raus hier, dachte ich.

Zeitgleich hatten wir an der Uni ein Projekt zum Thema "Held" und ich fing innerlich an zu würgen. Die braune Vergangenheit der Deutschen hat mich immer sehr beschäftigt und auf Deutschland war ich in diesem Bezug nie stolz, war es nie meine Heimat. Es ist sehr interessant, einmal im Ausland gewesen zu sein und den Blick der Anderen auf das Land, in dem man geboren ist, zu erleben. Wir haben damals viel diskutiert unter uns Studenten. Interessanterweise empfanden die Niederländer sich selbst als kleinkariert und die Deutschen als sehr kritisch. Von den Deutschen geht nie wieder ein Krieg aus, sagten sie. In diesem Moment war ich überrascht, erfreut und auch etwas stolz. Ein für mich neues Gefühl.

Meine Heimat sind Künstler, Schriftsteller und Poeten, Menschen, die kritisch sind und sich nicht wie Schafe verhalten und inspirierend sind. Mein Zuhause ist meine Familie, die vertraute Umgebung meiner Kindheit. Meine Heimat ist bei dem Menschen, den ich liebe.

Eine Heimat in sich selbst zu finden ist etwas Wunderbares und nicht selbstverständlich. Am Ende ist nichts selbstverständlich, sondern das Ergebnis dessen, ob man sich dem Leben stellt, gestaltend und Chancen ergreifend, oder sich – dumpfen Reflexen folgend – nur anpasst und Ideologien und suggerierten Werten und Verhaltensnormen hinterherläuft.

*) Heym, Stefan: Stefan Heym : im Gespräch mit Dirk Sager.
Ullstein 1999, ISBN 3-548-33255-2 (Seite 90)



Kommentar:

Stefan Heym, Journalist und Schriftsteller, stand wohl schon vor der "Machtergreifung" auf einer Schwarzen Liste der Nazis. Die hatten am 11. März 1933 versucht, ihn in Chemnitz zu verhaften. Doch weil Heym in Berlin war, wurde sein Vater in Geiselhaft genommen und Heym floh – von seinem Bruder gewarnt – über das Riesengebirge nach Prag.

Nun erfahren wir auf sächsische.de in einem Artikel vom 31. Januar 2019, dass der Görlitzer AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla eine "Schwarze Liste für unseriöse Pressevertreter!" fordert. In einem Brief an die Mitglieder des Görlitzer AfD-Kreisverbandes schwadroniert er von einer "Spaltungs- und Zersetzungsstrategie" der Presse.

Nun ja, Verschwörungstheorien entstehen immer dann, wenn ein Gehirn mangels Wissen Zusammenhänge nicht verknüpfen kann und deshalb Erklärungen konstruiert. Vielleicht hilft Nachdenken, weshalb in unserem Land, das die Erfahrung der nationalsozialistischen Herrschaft durchleiden musste, die allermeisten Menschen sehr empfindlich reagieren, wenn sich eine Partei für Ansichten und Denkweisen jener Zeit wieder attraktiv macht.

Bislang haben wir die AfD im Görlitzer Anzeiger behandelt wie jede andere Partei, weil wir meinen, dass die AfD zum einen ihre Entwicklung nicht ohne Grund genommen hat, zum anderen eine freiheitliche Demokratie aushalten muss, was legal ist. Das kann aber nicht bedeuten, dass Demokraten schweigend zuschauen, was sich da zusammenbraut.

Wir beim Görlitzer Anzeiger sind nicht voreingenommen, dennoch wäre es uns eine Ehre, in Ihre Schwarze Liste aufgenommen zu werden, Herr Chrupalla.

Thomas Beier

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  • Quelle: Tina Giesenkämper | Kommentar: Thomas Beier | Foto Heimat: ColourPhotography / Natalie, Foto Hüte: Stain_Marylight, beide Pixabay und Lizenz CC0 Public Domain
  • Erstellt am 03.02.2019 - 09:20Uhr | Zuletzt geändert am 24.05.2020 - 18:40Uhr
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