Hundert Tage Sisyphus

Görlitz. Reichlich hundert Tage ist der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege im Amt - eine Zeit, die man mit "Vergangenheitsbewältigung" überschreiben könnte. Neben der notwendigen Einarbeitung ins Rathausgetriebe hat sich Deinege mit der Energie des Neuanfangs auch die von seinen Vorgängern - warum auch immer - vielleicht verdrängten, ausgesessenen oder aufgeschobenen Themen auf den Schreibtisch geholt. Eine seiner ersten öffentlichkeitswirksamen Entscheidungen, dem Stadtrat zu empfehlen, die Görlitzer Stadthalle nicht aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken, verdient - unabhängig von den unterschiedlichsten Meinungen dazu - Respekt.

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Wird es Deinege gelingen, die Stadtverwaltung Görlitz bürger- und entwicklungsfreundlicher zu machen?

Es ist dem Görlitzer Stadtoberhaupt durchaus zuzutrauen, auch andere Projekte lösungsorientiert zu bearbeiten. In welchem Maße das gelingt wird ganz wesentlich davon abhängen, wie die mittlere Führungsebene und die Verwaltungsmitarbeiter in den Amtsstuben mitziehen.

Die hier - wie in anderen Verwaltungen auch - anzutreffende ausgeprägte Mentalität, durch persönliche Absicherung mittels Dienst nach Vorschrift vorrangig den eigenen Arbeitsplatz zu sichern, will Deinege durch Einführung von Führungswissen und -prinzipien, wie sie in modern geführten Unternehmen selbstverständlich sind, aufbrechen.

Dazu will er den Mitarbeitern dem Vernehmen nach Handlungsspielräume einräumen, die gleichzeitig durch Rückhalt durch die Rathausführung gedeckt sind. Auf gut Deutsch könnte das heißen: Arbeite zielorientiert für Görlitz, und wenn Du dabei mal einen Fehler machst, so werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass es beim nächsten Mal besser klappt!

In praxi könnte sich das als Sisyphusarbeit erweisen, denn eine eingefahrene Verwaltung binnen weniger Jahre mit unternehmerischer Denke oder wenigstens neuen Leitbildern zu infiltrieren, dürfte zu den schwierigsten Führungsaufgaben überhaupt gehören, denn noch immer gilt das Leitmotiv: "Ganz egal wer dirigiert, wir spielen immer die Neunte!“

In Görlitz dürfte es allerdings die Fünfte sein,

meint Ihr Thomas Beier


Für alle, die in der Schule grad gefehlt haben:
Die fünfte Symphonie von Ludwig van Beethoven wird auch die "Schicksalssymphonie" genannt. Sie beginnt - wie manche Amtszeit - mit einem ungewöhnlich prägnanten Anfangsmotiv.

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Beethovens Neunte

Von Jens Jäschke am 28.10.2012 - 13:07Uhr
Als Beethoven seine Neunte komponierte und dann spielte, war er bereits taub. Er konnte lediglich die Tasten bedienen, doch gehört, was er gesagt hat oder was er gerade spielte, war ihm nicht mehr vergönnt...

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  • Quelle: Thomas Beier
  • Erstellt am 28.10.2012 - 11:25Uhr | Zuletzt geändert am 28.10.2012 - 11:36Uhr
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