Neue soziale Hängematte

Görlitz, 17. März 2006. Wer sich als Existenzgründer selbständig macht und scheitert, konnte bisher entweder einen eventuellen Restanspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen oder musste ALG II beantragen. Seit dem 1. Februar 2006 haben potenzielle Pleitiers unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, in eine freiwillige Arbeitslosenversicherung einzuzahlen.

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Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbständige

Das sind die Voraussetzungen für die freiwillige Arbeitslosenversicherung: Selbständige müssen vor Aufnahme ihrer Tätigkeit innerhalb der letzten 24 Monate mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach dem SGB III, zum Beispiel einem Beschäftigungsverhältnis, gestanden haben. Völlig egal ist, ob es sich um ein durchgehendes versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt oder ob einzelne Beschäftigungen zusammengerechnet werden. Kann diese versicherungspflichtige Zeit nicht oder nicht ausreichend nachgewiesen werden, wird auch der Bezug einer Entgeltersatzleistung (nach SGB III oder einer Vorgängerregelung des SGB III) wie z.B. Arbeitslosengeld als Voraussetzung akzeptiert. Die Dauer des Bezugs spielt dabei keine Rolle.

Allerdings kann die freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung nicht in Anspruch genommen werden, wenn eine Versicherungspflicht bereits anderweitig besteht (z.B. Kindererziehungszeiten, Wehrpflicht).

Zu beantragen ist die freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung bei der Arbeitsagentur am Wohnort. Anhand einer Gewerbeanmeldung oder einer Bescheinigung des Steuerberaters ist nachzuweisen, dass eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, die mindestens 15 Stunden wöchentlich beansprucht.

Für 2006 gilt, dass Selbständige, die bereits vor 2006 am Markt waren und die Voraussetzungen erfüllen, einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung noch bis zum 31. Dezember 2006 stellen können.
Ab 2007 kann der Antrag nur noch innerhalb des ersten Monats der Selbständigkeit gestellt werden.

Selbständige in Westdeutschland müssen 39,81 Euro monatlich in die freiwillige Arbeitslosenversicherung einzahlen; für Selbständige in Ostdeutschland beträgt der Beitrag auf 33,56 Euro.

Wer mit seiner beruflichen Selbständigkeit scheitert, kann die Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld erfüllt sind. Neben dem Arbeitslosengeld können 165 Euro hinzuverdient werden. Darüber hinaus gehende Einnahmen werden vom Arbeitslosengeld abgezogen.

Der "arbeitslose Selbständige" muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und alle Möglichkeiten nutzen um die Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen). Er muss jede zumutbare Beschäftigung annehmen, in die ihn die Arbeitsagentur vermittelt.

Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hängt davon ab, wie lange der Betroffene in den letzten drei Jahren (Rahmenfrist) vor Eintreten der Arbeitslosigkeit in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. So wird nach 12 Monaten Einzahlung für 6 Monate ALG I gezahlt, nach 16 Monaten Einzahlung für 8 Monate, nach 20 Monaten für 10 Monate, nach 24 Monaten Einzahlung für 12 Monate. Wer mindestens 55 ist, erhält das ALG I nach 30 Monaten Einzahlung für 15 Monate und nach 36 Monaten Einzahlung für 18 Monate.

Bei Arbeitslosen, die in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung als Selbständige freiwillig weiterversichert waren, orientiert sich die Höhe des Arbeitslosengeldes an einem fiktiven Arbeitsentgelt.
Die Höhe des fiktiven Arbeitsentgelts ist u. a. von der Beschäftigung, auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit für den Arbeitslosen richten, und der für die Ausübung dieser Beschäftigung erforderlichen Qualifikation abhängig.
Es liegt je nach beruflicher Qualifikation, Steuerklasse und Kinderzahl sowie Wohnort Ost oder West zwischen 552,90 Euro und 1.377,- Euro.

Selbständige, die vor ihrer Selbständigkeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und bereits Arbeitslosengeld bezogen haben, haben einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld (§ 147 SGB III), wenn seit der erstmaligen Entstehung dieses Anspruchs noch keine vier Jahre vergangen sind. Dieser Restanspruch und der neu erworbene Anspruch durch die freiwillige Weiterversicherung werden zu einem Gesamthöchstanspruch zusammengerechnet.

Beispiel: Wer vor seiner Selbständigkeit Arbeitslosengeld bezogen hat und bei dem bei Ende des Leistungsbezuges die Dauer des noch nicht verbrauchten Anspruchs 4 Monate betragen hat und wer während seiner beruflichen Selbständigkeit 12 Monate lang Beiträge an die freiwillige Arbeitslosenversicherung abgeführt hat, kommt auf eine Gesamtbeitragsdauer von 10 Monaten. Diese ergeben sich aus vier Monaten Restanspruch und sechs Monaten Neuanspruch.
Damit ist ein Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslosengeld für die Dauer von 10 Monaten entstanden. Wer nach Ablauf dieser zehn Monate immer noch arbeitslos ist, hat bei Bedürftigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld II.


Kommentar:

Welcher pensionierte Oberstudienrat hat sich das ausgedacht?! Es ist doch ein wesentliches Kennzeichen und eine Haupttriebkraft der Selbständigkeit, den eigenen wirtschaftlichen Erfolg bei Strafe des Untergangs zu verantworten.

Die neue Regelung eines "Arbeitslosengeldes für Selbständige" belohnt und sichert alle, die sich zu schade sind für die Mühen der Nutzensorientierung und der Kundengewinnung, sie wird zu erheblichen Mitnahmeffekten führen.
Jedes Milchmädchen rechnet doch sofort: Zwölf Monate Einzahlen im Osten macht 402,72 Euro, dafür gibt es mindestens sechs Monate lang je 552,90 Euro, macht 3.557,40 Euro, im besten Fall sogar monatlich 1.377,- Euro – summa summarum 8.262,- Euro im halben Jahr!
Das sind echt kapitalistische Renditen!

Tipp für alle Schlaumeier: Noch fix zwei Jahre Ich-AG, in dieser Zeit in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, und im dritten Jahr wieder Arbeitslosengeld I abfassen, denn das ist weit lukrativer als das letzte Jahr der Ich-AG.

Lieber Vater Staat: Erst verheizt Du Arbeitslose in die "Ich-AG", indem Du ihnen suggerierst, die Selbständigkeit sei die "Fortsetzung der Anstellung mit anderen Mitteln". Für die bestehenden kleinen Unternehmen – die wahren Überlebenskünstler – war das eine volle Breitseite. Und jetzt deklarierst Du die Selbständigkeit zum unverbindlichen Experimentierfeld, indem Du die soziale Absicherung für den Fall der Unfähigkeit des Gründers sicherst. Wer jetzt nicht schnell eine Unternehmung gründet verpasst was, es kann doch nix schiefgehen....

Thomas Beier



Mehr:
Fast 15 Jahre später gibt es ganz andere Überlegungen zum Thema Selbständigkeit.

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  • Quelle: /red
  • Erstellt am 17.03.2006 - 00:04Uhr | Zuletzt geändert am 25.10.2020 - 09:34Uhr
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